Freitag, 3. Mai 2013

Der Dobermann





Rolf lebte in einem schönen weißen Haus, zusammen mit weiteren drei Familien. Ein Grundstück umgab das schöne weiße Haus. Da gab es grünen Rasen, bunte Blumen am Rand und auch drei kleine Apfelbäume, die im Frühjahr ganz bezaubernd blühten. Rolf kümmerte sich um den Garten. Er mähte Rasen, zupfte Unkraut im Beet, steckte Blumenzwiebeln. Erst im vorigen Jahr hatte er die rustikale Holzbank aufgestellt, damit seine Nachbarn und er die duftende Oase genießen können. Die anderen Bewohner freuten sich sehr darüber. Sie mochten Rolf, den netten, hilfsbereiten und freundlichen Mitbewohner. Meistens waren die alleinstehenden jungen Männer problematisch. Frau Müller wusste darüber Bescheid, schließlich schaute sie Fernsehen. Die im TV berichteten oft genug darüber. Rolf war da zum Glück anders. Keine wilden Partys, keine wechselnden Damenbesuche, auch keine Herrenabende. 

Rolf holte sich einen kleinen Hund. Natürlich nicht, ohne vorher seine Nachbarn zu fragen. Keiner stimmte dagegen. Frau Müller meinte sogar: »Der Kleine kann doch in unserem Garten rumtollen. Ach wie süß!« Der ›Kleine‹ bezauberte tatsächlich alle Hausbewohner. Ein tapsiges schlaksiges Hundebaby eroberte die Menschenherzen im Sturm. Rolf nahm sich viel Zeit für seinen Hund. Seine Arbeit ermöglichte ihm das. Der kleine Hund gedieh prächtig. Schnell wuchs der schwarzbraune Welpe zu einem großen Hund. Und ehe sich alle versahen, stand ein stattlicher Dobermann im Garten.




Der guckte auch gar nicht mehr so niedlich, sondern stolz und erhaben. Und überhaupt, gehörten Dobermänner nicht auch zu den total gefährlichen Hunden? Na klar! Frau Müller hatte letztens erst einen Beitrag im Fernsehen gesehen: ›Hund greift Kind an‹. Nein, das ging auf gar keinen Fall! Der Hund musste weg. Rolf verstand die Front gegen seinen Hund nicht. Sein Dobermann folgte aufs Handzeichen. Er benahm sich freundlich und einfach gut erzogen. Doch die Nachbarn ließen Rolf keine Ruhe. Aufgewiegelt durch Frau Müller mobbten sie den jungen Mann mit seinem Hund aus ihrem schönen weißen Haus.


Rolf fand eine Wohnung am Ortsrand. Es schien eine gute Fügung des Schicksals. Hier schloss sich eine riesige Wiese an, die bis zum Wald reichte. Hier gab es viel Platz zum Springen und Rumtollen für seinen hübschen Hund. Rolfs Wut auf seine ehemaligen Nachbarn verebbte mit der Zeit.



Irgendwann ergab es sich und er lief mit seinem Dobermann an dem schönen weißen Haus, in dem er einst wohnte, vorbei. Es dämmerte bereits. Der betörende Blütenduft ›seiner‹ Apfelbäume kroch ihm in die Nase. Rolf dachte gerade, dass der Rasen dringend gemäht werden sollte, als sein Hund plötzlich lautstark bellte. Er beruhigte sich nicht, bellte hintereinander weg. Rolf wusste: Irgendetwas stimmte nicht. Und da sah er es. In Frau Müllers Wohnung huschte das Licht einer Taschenlampe durch die Zimmer. Rolf klingelte bei Frau Müller. Niemand meldete sich. Der Dobermann stellte die Ohren. Aufmerksam starrte er zu der Wohnung. Dann erfasste ihn eine neue Unruhe. Hinter dem Haus klirrte Glas. Hundebellen. Eine Gestalt rannte davon. Da ließ Rolf seinen Dobermann los. Ein Satz über den Gartenzaun. In Windeseile stellte der Hund den Einbrecher.

»Wir hätten den jungen Mann und seinen Hund nicht verjagen sollen«, empfing die Bewohnerin aus dem Obergeschoss Frau Müller, als die eine Woche später von einer Fluss-Kreuzfahrt zurückkehrte.






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