Sonntag, 5. Mai 2013

Das Pferd ist tot

...
Jürgen Kalkow bewunderte Lisa, wie tapfer sie in ihrem Schmerz voran ging. »Lisa, lass' ihn kurz ausruhen.«
Das Pferd zitterte am ganzen Körper, sein Blick war gebrochen. Lisa wollte sich das Herz im Leib umdrehen bei diesem Anblick. Sie streichelte seinen Kopf. Ob der Rappe das noch spürte? Was wird in dem Tier jetzt wohl vorgehen? Panik? Schmerz? Resignation?
»Gut. Und weiter.« Der Doktor und Cilly schoben wieder kräftig von hinten und Lisa zog vorne. So erreichten sie die Stelle, die Cilly vorsorglich mit Stroh ausgelegt hatte.
»Lisa, halt bitte den Kopf. Ich gebe zunächst ein Narkosemittel. So schläft er ein wie zu einer OP. Danach injiziere ich das Gift.«
Die Narkose wirkte schnell. Der Rappe fing an zu schwanken. Sein Kopf hing tief. Er verlagerte sein Gewicht nach hinten. Die Hinterbeine knickten ein. Der schwere Körper sackte zusammen. Lisa kniete sich neben den Kopf des Pferdes und streichelte ihn. Dabei schluchzte sie leise in sich hinein. Cilly stand daneben und konnte vor lauter Tränen kaum etwas sehen.
»Machs gut, mein Schwarzer. Danke für alles. Es geht dir gleich besser.« Lisa sprach zu ihrem Pferd. »Ich werde dich immer in meinem Herzen tragen. Du warst etwas ganz Besonderes.«
Jürgen Kalkow setzte das Tötungsmittel. Es dauerte nur einen Bruchteil an Zeit und das Pferd war tot. Lisa versuchte, die Augen des Rappen zu schließen. Es gelang ihr nicht. Starr und leer blickten die Pferdeaugen. Jürgen Kalkow kontrollierte mit dem Stetoskop die Herztöne, um sicher zu sein, dass das Tier nicht mehr lebte. Der einst so wunderschöne Rappe, die große Dressurhoffnung von Lisa Feller war tot. Trotz ihrer unsäglichen Trauer spürte Lisa, wie die Seele den toten Körper verließ. Eine warme Welle der Erlösung traf sie. Sie wusste nun: Diese Entscheidung war die richtige.
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Auszug aus meinem Roman »Grundglück«



Ich wünsche einen schönen Sonntag,
Anja Blum




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